blau


Die Zeit erscheint ungewohnt. Es könnte sein, dass sie eine Cousine hat, die Zeit. Etwas entfernt und nicht so gründlich wie sie die Zeit in der Stadt. Entspannter und freigiebiger mit sich verbringt die Zeit an den Küsten der Erde die Stunden. Sie umhüllt die Menschen, bremst sie ein und wiegt sie sanft in einer ewigen Wiederholung. Die Menschen werden bei ihr alt. Auf Postkarten lächeln sie ohne Zähne, glücklich mit Netz, Boot und Sonne.

Die beiden verwandten Schwestern streiten nicht. Sie wissen um ihren Raum, ihre Kraft. Die Menschen geben sich ihnen hin, fragen nicht, lassen sich treiben, zerspringend an den Klippen oder sanft auslaufend am Strand.

Der Schlaf endet hier spät und lässt den Körper lange nicht in den neuen Tag schlüpfen. Später dann im Wasser, die Zeit im Wasser wie ohne Zeit im Wasser. Das Element umspült alles in sich, zeitlos.

Wechselt ein Ding die elementaren Grenzen, dann ist es glatt von Kanten und Ecken befreit, mit dem Schwung der Gischt auf die Steine am Ufer geworfen. Mit der Zeit trocknet es. Vielleicht greifen es kleine Finger, nehmen es mit in die Geheimnisse der Kindheit. Lassen es reifen mit der Zeit. In Kartons mit herzlichen Jahreszahlen durch die Tage des Lebens getragen.

Die Haare der Nixe auf dem weichen Grund wiegen sich im unsichtbaren Wind anmutig und stolz und schön. Sie schwingen im durchsichtigen Rhythmus. Neben dem Gras in den Steinen feurige Fische mit Stacheln. Zwischen dem Menschenmüll haben sie ihre Farbe verloren, vielleicht Tarnung. Gefährlich für die Krone der Schöpfung sind die Stacheln. Trotzdem selten schön. Gleich wieder eine Plage, sie gehören nicht an diese Stelle der Ewigkeit. Keine Feinde, viele Eier, keine Chance für die, die immer hier waren, bevor das Netz kam – auch schon egal.

Unter der spiegelnden Grenze zum Weltraum schaukeln drei Kalmaren und schauen neugierig den planschenden Vierbeinern zu. Der große Rumpf ist ihnen nicht geheuer, sie verschwimmen im tiefen Blau.

Der Mensch kommt aus dem Wasser, bestieg das Land und machte alles auf dem Weltenrund ihm zu eigen. Es gab einen Moment, da entschied sich die eine Zelle zu gehen, die andere im Wasser zu bleiben. Was, wenn die schlaue Zelle im Wasser blieb und noch wartet?