der Flug


Der Flug beginnt mit lachendem Herzen und pumpender Brust in den Armen des Wunders, direkt hinter dem weißen Tor. Der Wald ringsum, mein Staunen hat sich nicht geändert. Selbst durch die Jahreszeiten bleibt die Überraschung warm und wach. Ich werfe mich einem Stamm an den Hals. Augenblicklich wurzeln die Sinne, gleichzeitig rasen sie wie Gezeiten. Du schaust nur kurz, hast mich ja kommen sehen, rennend auf dich zu. Du scheinst überrascht und berührt von so viel Nähe ganz plötzlich hier oben mitten in deinem Leben.

Die Luft wirkt wärmer um dich herum. Der Wind zieht durch die Bäume, Äste wiegen sich auf deinem Stamm im leichten Tanz, als würden sie fliegen. In meinen Ohren rauscht das Glück: Das es dich gibt!

Wer hier schon alles war, mit wem du schon alles warst. Fast allen hast du Bedeutung gegeben. Nur einer rutschte ab an der glatten Kante der Aufrichtigkeit. Du hast vieles gesehen, gehört und gedacht, überdacht und wieder bedacht.

Ich höre deiner Stille zu. Noch immer lass ich mich fallen, steh ich doch fest an dich geschmiegt. Die pochende Ruhe erzählt von deinem Leben, was mit Worten schwer möglich wär. Was ist passiert in all den Wochen, erkennst du mich noch? Hörst du mich noch? Fühlst du mich noch, wenn ich aufstehe vom roten Stuhl, ganz nackt vor dir stehe, dein Boden in meinen Sohlen drückt? Du schweigst und ich höre es doch, deine unglaubliche Nähe, dein machtvolles Sein. Ich will einfach in dir, ich will einfach So-Sein, ein Teil von dir.

Deine Jahresringe sind unglaublich dünn. Ich spür sie kaum, geschweige denn kann ich sie zählen. Mann könnte meinen, du seist schwach. Viel Spaß mit dem Verdacht! Du bist stark bleibst stehen, weist dem Gegenwind die Richtung. Du kämpfst mit den Stürmen im Schnee. Sie müssen, sie ziehen weiter kein Platz für unnötiges Geprotze.

Soweit du kannst, formst du den Grund deines Lebens aus Wahrhaftigkeit. Alles, was nicht Natur ist, fliegt raus! Bunte Blätter sind dir zu jeder Jahreszeit willkommen. Allerdings, diesen runde Knäule mit schillernden Ästchen und prallen Früchten, die sich in deiner Krone zu Schaffen machen, um sich im Gipfelglück zu ergötzen, diesen Misteln gibst du den Pass. Sie sind vielleicht zum Knutschen gut, wenn Menschen sie sehen und unter sie fliehen. Du selbst löst ihre gierigen Haken und überlässt die Knäule dem Wind. Es braucht schon einen Stamm mit Wurzeln und offenen Ästen, um auf einer Lichtung in dir mit dir die Welt zu entdecken.

Zu hören ist das Stochern der Schnäbel im Holz („Ist dein Loch besser? „), das Pochen der Herzen in ihrer Brust zwischen den Stämmen. Lachend klopfen wir im Takt. Mit Bedacht schwingt die Saite in dir und mir. Es klingt mit langem Atem, mit wechselndem Ton durch den Wald. Im Schwingen bewegen sie sich ganz leicht, die kleinen Knospen an deinen Ringen. Hebst du dich laut, dann wollen sie wachsen. Du verhüllst sie vor zu viel Verlangen. Das glucksende Lachen, das aufrechte Leben braucht ein zu Hause in deinem Grund.

Zwei Menschen würde es nur schwer gelingen, versuchten sie, die Luft um dich zum Schweigen zu bringen. Warum sollten sie auch? Du singst dein Lied, wartest auf meins. Ein Kanon aus zwei Stimmen von oben nach unten und wieder hinauf. Der Lauf wird dauern, solange es dich gibt.

Deine Krone wiegt sich sacht im Wind, die Welle bewegt sich über die Wipfel. Dein feuriger Ton bringt selbst die Stämme zum Schweben. Sie wachsen und streben den Vögeln nach, bilden sich ein, das wirklich zu können, fliegen! Sie pumpen die Kraft in die Wurzel und Krone und manchmal auch auf ein Blatt. Dann fallen sie zurück in ihren Saft und lassen samtenes Moos zurück.

Die Nächte durchwachst du im Stehen, begleitet von flüsternden Geschichten, lachenden Atem und trocken geatmeten Kehlen. Das Leben der Menschen hallt durch dich, erzählt dir, was du nicht siehst.

Am Tag kommen sie und reden, wedeln mit Zetteln um deinen Stamm. Sie achten nicht auf dich im Wettstreit der Argumente. Sie regen dich auf, selbst das Harz wird schnell und lässt dich erbeben. Du kannst nicht weg, kannst die Ignoranz nicht verstehen. Ein Wildschwein kommt plötzlich und rammt seine Hörner in deine Seite. Gibt dir sie Schuld, dass du da stehst, dreht noch zwei Runden mit kreisendem Kopf. Dann trollt es zurück und reibt seine Borsten an deinem Stand, will dich und sich befrieden.

Mit dem Morgen kommt der Abschied. Die nimmer ruhenden Augen sehen als erstes dich, sobald ihr Blick sich befreit von den Lidern der Nacht. Ich schau nach oben seh dir beim Erwachen zu. Die ersten Strahlen fangen sich in der Spitze deiner Krone. Langsam erwachst du im gleitenden Glanz der Sonne. Mit mir ziehen die Strahlen, dein Geruch, das Rauschen der Sinne, das Klopfen auf Holz und der Herzen, die offenen Arme und den weisen Eulen, oben in deinen Ästen.

Den Zauberwald verlasse ich über erdige Wege, unzähligen Stufen nach unten gewunden. Weiter über einen lustlosen Platz im Frühlingsfest zu den Gleisen.

Am Bahnhof, fast schon zurück im Leben, habe ich den Zug verpasst, so ist das eben. Mit rauschenden Ohren und im Zauber verhafteten Sinn klappts nicht mit der Bahnofsansagerin.

🙂

Sollte es einmal ein Kapitel „die Landung“ geben, dann wünsch ich mir, dass wir es schreiben  mit der Rücksicht des Fliegens