die Größe der Liebe


Wie groß ist die Liebe richtig?

Diese Frage stelle ich mir beim Pilzesuchen mit den Mädels im Wald an der schwedischen Küste. Ich frage mich, wie muss sie beschaffen sein, damit sie für den Alltag taugt, ihn trägt, erträgt. Wie passend muss sie dafür sein? Lässt sie sich in die Ecken, die Form drücken, wie der Boden auf dem Kuchenblech? Was braucht denn der Alltag, um glücklich zu sein?

Hat sie mich bisher getroffen, dann habe ich sie nie hochgehoben und geklopft, gespürt, wie sie klingt und wie sie von innen aussehen wird. Ich habe sie genommen, als sie kam. In dem Moment war ich überzeugt, jede hätte alles werden können. Erst danach und mit der Zeit kam der Abstand und die Einordnung der Größe, der Tiefe der Bedeutung. Jede hatte ihre Wirkung, ihren Wellenschlag in der Nähe der Brandung. (Wenn man mit dem Boot unterwegs ist, es in die Brandung gerät, ist es verloren, später dann auch die Besatzung.)

Olaf, wie oft warst du denn schon verliebt?

Hm, wenn ich es bin, scheint der Rückblick verschwommen unscharf. Doch noch nie bis jetzt. Kann das sein?

Ne, sicher nicht.

Ja, das ist richtig, aber sie scheinen alle klein aus dem Moment zurückgeschaut.

Warte, bis diese vorbeigeht.

Sie geht nicht vorbei!

Na klar, das hast du von den anderen auch nicht gedacht.

Hm. Jetzt ist es anders. Ja, ich weiß, was du sagen willst, aber wäre es nicht so, dann würden wir die Erste halten.

Was ist anders?

Wir machen etwas anders. Wir leben sie nicht, schauen sie an, bestaunen das Bild, versuchen die Struktur zu ertasten. Zerfließen berühren sich dabei unsere Hände. Wir haben uns vorgenommen, sie hat den Vorschlag gemacht, das Bild nicht übers Sofa zu hängen, sondern hier zu lassen. Jeder von uns hat einen Schlüssel, vom anderen, kann so kommen, es anschauen, berühren, wann immer wir Lächeln wollen oder Trost gegen Unsichtbarkeit und Traurigkeit gut für uns ist. So im Alltag eine Insel finden. Überall, weil sie nirgendwo über dem Leben hängt.

Ambitioniert!

Ja, fast unmöglich, aber sie ist es wert.

So viel wie ein Jahresgehalt?

Nein, doch kein Geld!

Na dann tut auch nicht so. Lass die Bedingungen weg, die Einordnung. Du machst euch sonst nur klein, suchst schon in Gedanken nach dem Nagel fürs Bild.

Mit Abstand lassen sich die Regale beschriften. Die erste war gut für den Schmerz und das eigene Spüren danach, die andere für den Sex zu gebrauchen. Die dritte ist einfach angenehm, ohne zu berauschen. Was ist davon Liebe, was einfach nur Sehnen?
Wir waren gerade Pilze suchen, also sind die Funktionslieben die etwas angefressenen, nicht so stolzen Pilze. Die, natürlich nicht giftig, trotzdem in den Beutel kommen. In der Pfanne werden alle gleich, der Geschmack, ein Verschnitt, die Mitte zwischen allen Großen und Kleinen. Lina hat einen märchenhaften Steinpilz entdeckt. Was stellen wir damit an? Ihn gemein machen mit den anderen? Er ist doch so schön, so einmalig hier in diesem kleinen Wald.

Ich dachte mir vor der letzten Liebe jetzt, aber. Nun wird es Zeit für etwas Richtiges. Das Leben geht ja weiter und braucht einen Boden zum Laufen, Wege und Pläne.

Die Liebe ist zu Beginn doch immer berauschend und groß. Wir trauen ihr den Alltag zu, bauen ihn um sie herum und vergessen, sie zu gießen. Sie ist da immer verfügbar. Die Resonanz ist wie ein Gummiband beim Hopsespielen. Es kribbelt in den Kniekehlen und manchmal am Po. Den Nacken erreicht das Kribbeln nur im Liegen. Die Kinder werden groß und das Band hängt schon lange an der Wand. Das Lachen kommt in den Stimmbruch.

Ist dies das Schicksal der Liebe im Leben?

Hätte Edison die Glühbirne erfunden, wenn er gewusst hätte, wie gefährlich Stromschläge sein können, wie viele Kabelbrände und schmelzende Stoffe durch sie verursacht werden würden? Wir wissen nicht, was passiert, schrauben wir eine neue Glühbirne in die Fassung. War der Schalter jetzt an oder aus? Wir zucken kurz, strahlt sie plötzlich auf, meinen uns augenblicklich zu verbrennen an so viel Licht. Natürlich gibt es einen Alltag, ein Leben im Kerzenlicht und heißem Wachs auf dem Bauch der Haut. Wie viel leichter zeigen sich die Felsen im hellen Licht, weil sie doch nur Steine mit langen Schatten im flackernden Halbdunkel des langen Licht’s waren.

Kann ein Gefühl eine Entdeckung so groß sein, das wir nicht eine Bedingung stellen, die Reinheit nicht verwässern wollen? Diesen einen Pilz nicht pflücken, den Impuls der Aneignung zu widerstehen, ihn nur bestaunen, ihn im Leben lassen? Wovon leben wir dann? Die Dose Champignons im Schrank macht uns satt, Essen hilft immer. Der Kopf tanzt weiter um das Bild dieses Prachtkerls und freut sich an seinem Leben irgendwo da hinter den Bäumen, zwei Wege nach links und an der Lichtung in der Mitte rechts.