„Spenden sie Nähe“


Ich bin gern allein und brauche doch die ganze Welt, um nicht allein zu sein.

Wie wäre es in einem Raumschiff auf dem Weg zu Kassiopeia, zu früh aufgewacht und nun allein in einem überschaubaren System aus Röhren, Türen und Gängen. Zu früh aufgewacht heißt auch, an der Uhr des Lebens zu drehen, den verbleibenden Sand rieseln zu lassen. Also eine endliche Zeit von vielleicht dreißig Jahren mit Kometen als Begleiter statt Delfinen. Kein Radio, keine Kommunikation. Alles, was ich da finden würde, wäre Konserve, abgespeichert für später, ein Archiv. Kontakt ist erst wieder in 128 Jahren möglich, wenn die stellare Blechröhre in den Bereich der Brück durch die Raum-Zeit-Krümmung Kontakt zur Erde aufnehmen kann. Das wäre auch der Zeitpunkt des Aufwachens gewesen, wäre gewesen.

Wäre Wenn und Aber. Hätte hätte Fahrradkette! Von wegen. Keine zwei Pedale, nur eine, meine, alleine.

Wie wäre es dann?

Glaube ich den Selbsterfahrungstripps auf einsamen Inseln auf youtube, wo es trotzdem versteckte Akkus für die Kamera gibt;), dann breche ich nach ein paar Tagen zusammen. Experimente (!) sollen gezeigt haben, dass Kinder sterben ohne Kontakt, ohne Nähe.

Und ich glaube trotdem, ich schau gern zu und bin für mich allein?

Nähe, so ein simples Wort.

Ist Nähe noch wichtiger als Liebe und Freiheit? Freiheit will doch gerade keine Nähe oder gerade die Freiheit, Nähe zu erfahren. Liebe schafft Nähe, braucht aber die Freiheit, um sie zu erfahren. Nähe braucht Freiheit, nicht unbedingt Liebe.

Liebe, altes Mädchen, du bist raus. Für dich habe ich heute leider kein Foto.

Bleiben noch Freiheit und Nähe.

Als Mensch würde ich in einem Raumschiff nur wenig Freiheit finden. Das All ist unendlich, aber wir als Menschen unendlich begrenzt in unseren Möglichkeiten zu überleben. Also wird es eng in dem Hochhaus aus Matallwinklen und Flächen, Schiebetüren und Lüftungsschlitzen. Allein, ohne Nähe. Würde ich mich mit den Türgriffen anfreunden, die Wasserhähne duzen und sowieso mit mir im Spiegel reden? Ist der Mensch ohne Menschen verloren?

Wirklich?

Ich meine, es gibt genug, auf die ich verzichten kann und deren räumlichen Abstand ich ganz gut finde. Anderen kann ich nur in Gedanken nah sein, wenige will ich in den Arm nehmen und dabei fallen können.

Ja, Nähe braucht Freiheit in den Gedanken, im Fahrstuhl, im Bett. Nähe braucht die Freiheit der Entfernung, die Befreiung von ihr.

Ich denke, was ich will,
und was mich beglücket,
doch alles in der Still,
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.

Gedanken können nah sein, wie die lustigen kleinen Quanten. (Oh, schon wieder diese Dinger!) Geht es bei der lebenswichtigen Nähe um die Berührung, die spürbare, kribbelnde, überraschende und beruhigende Nähe? Zwei Hände von vorn auf die eigenen Schultern gestützt, behütet, beschützt.

Ist es der Körper, der geführt von den Gedanken die Nähe findet und verglüht?

Oder reicht eine Erinnerung, um zu überleben?