Der Vormittag war zu kurz für das eilige Homeoffice. Die Arbeit zu Hause war eine Ausrede. Wenn ich am Mittag auf der Wiesn sein will, dann hätte die Fahrt wenig Sinn gemacht. Der Weg, die kurze Zeit im Büro, ein kaum sinnvoller Aufwand. Die zu erledigenden Aufgaben, Anrufe, E-Mails dauerten länger, als ich ihnen auf der Liste angesehen habe. Drei simple Notizen standen untereinander in der treuen App.Waren die drei Stunden zu kurz, oder braucht die Arbeit einfach mehr als Zeit? Eventuell bedarf es Aufmerksamkeit und Gespräche, die auch um den Punkt herum kreisen dürfen, den Gedanken bis zu Ende gedacht und aufgeschrieben. Später würde er einfach hervorspringen, kommt dir Sprache auf ihn. Alles Weisheiten des Alltags, die ich oft in meinem Kopf gedacht und als Serviette auf den Gute-Absichten-Tisch gelegt habe. Doch zu oft wird der Tag im Schnellimbiss unterbrochen, kein Sinn für Ruhe, Espresso und gefaltete Servietten. Später weht ein frischer Wind durch das offene Fenster und wirbelt die Ordnung durcheinander. Die Falten verlieren ihren Zusammenhang.
Ich musste mich jetzt doch beielen beim Umziehen. Die Zeit zu Fuß bis zur Festwiese, dann bis fast auf die andere Seite die Bierstraße entlang, dass wird nicht in zehn Minuten zu schaffen sein. Als ich die Hirschlederne vom Bügel nahm, konnte ich nicht anmerken, ob sie sich nach den Corona-Jahren im Schrank auf die Entfaltung an der Luft freute. Sie wirkte – entspannt. So ein Teil soll ein Leben lang halten, sagen die, die sich damit auskennen. Dabei fragen sie sich stumm, wem sie das eigentlich erklären müssen. Das weiß man, oder man kommt nicht von da. So entpuppte sich der Hosenträger als Zugereister, der sich fremdes Kulturgut zu Eigen machen will. „Es ist unsere Tradition keine Verkleidung. Was weiß der schon vom Leben, für die solche Hosen erdacht, aus dem sie gewachsen sind?“
Recht haben sie. Ich will nicht so sein wie die, die „Mia san mia“ sind. So bleibt sie für mich Verkleidung. Sicher, Mann geht so zum Oktoberfest, Mann hat sie im Schrank, dafür. Also zieh ich sie an als Mann. Für wen? Für die Masse, fürs gute Gefühl, weil Mann es so macht!?
Kaum einer denkt an die Hochzeit, um die es im Grunde geht, ein festlicher Anzug dafür, ging es mir beim Schnüren der Haferlschuhe durch den Kopf. Diese steifen Dinger werden den Fersen unglaubliche Blasen entlocken. Die Hosenbeine enden über den Waden und lassen sie frei. Oben herum glänzen silberne Knöpfe auf buntem Stoff. Edle Kragen kuscheln sich an weiche Tücher. Das Haar ist zurückgekämmt, nicht wirr. Für den Auftritt ist es ganz gut, wenn es schwarz scheint. Die Jacke trägt Hirschhornknöpfe. Der Laptop und Lederhose-Mann wird geboren. Ähnliches trifft auf die Damen zu, allerdings ist der Effekt noch sehr viel stärker. Ein Dirndl stapelt das Holz vor der Hütten. Die Hüften umgarnt mit wallendem Gewirk, darauf eine Schürze, den Knoten an der passenden Seite. So geputzt lassen die Mädels die Männer stolpern. Ist später im Zelt die Luft vom Bierdunst verdrängt, kommt es schnell zum Absturz, zu unscharfen Bildern, fehlenden Momenten und leeren Börsen. Schaut einen der Alltag am nächsten Tag ins Gesicht, oh Gott, erbarme dich! Der Schlaue nimmt sich am Tag danach frei, die ganz schlauen überleben zwei Wochen in der Blase aus Bier, Blasmusik und Trachten-Menschen.
Das alles ging mir durch den Kopf, während ich das Hemd in die Hose stopfte und die Jacke überzog. Meine Verkleidung ist nicht so perfekt, außerdem sind die Haare natürlich grau und bleiben es auch.
Schaue ich mir die Welt von einer Bierbank an – stehend, dann verschwindet, was ich Alltag nenne. Es gelingt ein seltener Zustand, ich bin in dem Moment. Die Maß vor mir, die eigene Frau neben mir und meist irgendeine Melodie laut singend zur Musik. Gute Freunde schützen die Flanken. Ringsum nur Ausgelassenheit, Sprachgrenzen sind keine zu spüren. In dieser Ebene aus Emotionen gibt es keine babylonische Sprachverwirrung. Ist ein Wiesn-Zelt schon der Himmel, ein kleiner Vorgeschmack, ein Versprechen? Egal, der Moment zählt.
Ich ging die Stufen hinunter mit eiligen Schritten hinter, durch die Tür, dann rechts Richtung Festwiese. Es wird ein nettes Treffen mit einem Freund am Tisch, zwei Bier und ein knuspriges Händel standen vor uns auf dem Tisch und verschwanden langsam in uns. Alles sehr nett und eine Unterhaltung, die den Sommer in Worten vorbei ziehen ließ. Der Wahnsinn geht erst am Abend los, aber da bin ich schon lang wieder im Alltag, in Jeans und Pullover.