bleib bei mir


Meine Gedanken, dem Kleinen zuhören, zweifeln, Fragen stellen, überlegen, dabei laut gesprochen. Damit wohl verwirrt, überfordert, verstört.

„Mach das mit dir aus, sei nicht, wie du bist.“

Mein Bauch, der Kopf oben drauf rechnet mit vielem. Vorwürfe, Eimer mit Konzentrat aus Zuschreibungen von Frauen an Männer oder umgekehrt. Die sich mögen sich nahe sind. Bei dem einer sich infrage stellt und damit die Nähe, der andere nur wehrlos verzweifelt. Tränen, natürlich bei ihr und ihm. Ein verschwommenes Erinnern durch den wässrigen Blick zurück. Ein Panoptikum aus Lachen und Glück schießt vorbei. Aus jedem Bild zieht schmerzhaft Amor seine Pfeile zurück. Sie reißen mit Widerhaken, sollten sie doch ein Leben lang halten. Das Unbegreifliche erdrückt mit seiner Schwere das federnde Glück. Zurück bleibt Sonne auf Beton, aber das ist schon wieder ein anderes Leben.

Mit vielem habe ich gerechnet. Schaue ich zurück, dann ist die Situation nicht neu. Das Gefühl hat mich manchmal weggezogen, stets bemüht, nicht überrascht zu werden, einfach der Erste zu sein. Verlassen wurde ich selten, damit fehlte mir der Mut. Das Sicherungsseil erst in den oberen Karabiner sichern, bevor man den unteren löst, das ist doch logisch! So ging es sicher und leicht – für mich. Ich war selten allein wenige Wochen kaum ein Jahr. Schau ich zurück, gerade in diesem Moment: Wo bliebt die Zeit für mich? Wann habe ich denn auf mich gehört, mit mir geredet? Wann habe ich mich angeschaut und befragt, was ich mag? Meine Aufmerksamkeit war auf das Erspüren gerichtet, anderen zu gefallen. In den Spiegel zu blicken und zu fragen:

„Alles ok bei dir?“

„Ja, schau doch. Andere wollen sie auch, sie ist bei mir. Also ist alles im Plan. Sie mag mich, ich mich. Die Sonne wärmt mein Leben. Ich genieße den Frühling, das Neonlicht.“

Eheverträge und Lohnforderungen lassen mich kurz stocken. Ein Vertrag gegen die Liebe? Zu Beginn, echt? Aber ich bin hier neu. Das ist vielleicht dort, was jetzt hier ist einfach so. Das Bepreisen des Lebens, flankierte Verträge, das ist das wohl der Zehnt für den Thron. Die Gesellschaft nennt sich nur anders. Das Feudale sitzt in jeder Ecke.

Ja, solche Momente gab es. Die Orte wechselten im Leben, die Adressen, die Menschen und die Sortierung in den Einkaufsgeschäften. Das Gemüse, das Grün zu Beginn ist gleich, da scheint verkaufstechnischer Konsens. Danach erfinden sind die Regeln in den Regalen neu. In der neuen Adresse höre ich neue Geräusche vorm Fenster, drinnen ein anders Stöhnen. Ich habe mir dabei im Spiegel zugeschaut, gefragt oder gar zugehört habe ich mir nicht.

Jetzt beginne ich die Ruhe, den Blick und vor allem den Mut zu finden. Beginne mit Fragen mich zu entdecken, lausche mit offenen Sinnen auf die Antworten von mir. Was weiß denn ich, was da kommt. Beim Fragen sollte man immer die Antworten empfangen wollen. Langsam entblättere ich mich. Erkenne die Kostüme an den Anhängern aus der Künstlergarderobe. War die Mauer plötzlich weg, das freie Theater erreichbar, bin ich schnell auf die Bühne gewechselt. Ich war berauscht von meinem Stück. Applaus aus dem Publikum war ein warmer Regen. Ich war so verzückt von meinem eigenen Stück, dass ich eines völlig vergaß. Dort unten im Zuschauerraum bliebt bei aller Fülle immer ein Platz frei, immer. Auf ihm steht mein Name. Über die Jahre wurde er staubig, kalt sowieso. Aber mit gut gearbeiteten Nähten und festen Kanten. Er verspricht sanften Halt und einen entspannten Sitz. Ich habe ihn abgewischt, mich gesetzt und schau jetzt hoch auf die leere Bühne. Allerdings sehe nur ich mein Stück, allein. Die Reihen im Raum sind leer. Trotzdem denke ich, da ist doch wer! Bin ich gar nicht allein? Drehe ich mich um, seh ich kein Mensch. Es kommt mir so vor, als ob aus dem Soflistenkasten eine Stimme zu hören ist, sacht, ganz sanft. Nicht immer mit Worten, manchmal klingt es wie Gesang aus einer anderen Welt, einem anderen Leben. Wenn du da bist, dann komm raus und setz dich neben mich. Das Stück geht nicht mehr ewig. Das Ende ist noch nicht zu erahnen, aber das Gefühl sagt mir, das meiste ist schon passiert. Vielleicht kommt noch ein Plotpoint, ein Bogen, eine Wendung, ein glückliches Ende. Den Schluss kenn ich auch noch nicht. Komm ruhig raus aus deinem Schlitz. Ich habe gerade erfahren, die Aufführung geht weiter. Ja, ich darf noch mal rauf. Meinem Leben hat das Stück gefallen, ich darf noch mal rauf als spielende Schau. Hier zu sitzen ist wohl zu anstrengend, zu verstörend. Im Programmheft steht ‚Lustspiel‘, na dann. Aber diesmal mit geregelten Darstellungszeiten.